aus: Archäologie in Niedersachsen 1, 1998, 75-76

 

Am Anfang war der Eitopf

 

von Rolf Bärenfänger

 

Bevor historische Fragestellungen mit archäologischen Mitteln beantwortet werden können, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein, besonders muß das Alter der Fundstücke ermittelt werden, die aus den verschiedenen Siedlungsschichten, Gruben oder Gräbern stammen; erst wenn der zeitliche Rahmen verläßlich abgesteckt ist, lassen sich die übrigen Zusammenhänge verbindlich beurteilen. Auf der ostfriesischen Geest stellt sich diesbezüglich das Problem der Funderhaltung, denn der oft saure und gut durchlüftete Sandboden gewährt organischen Materialien keine und Metallen, besonders Eisen, nur geringe Überlebenschancen. Auf solchen Plätzen dominiert das keramische Fundmaterial, das in Abhängigkeit von Machart und Brennhärte auch im Boden lange überdauern kann. Untersuchungen zu den Formen und Verzierungen der Tongefäße sowie zu den technologischen Merkmalen lassen schließlich eine chronologische Einordnung dieser Funde zu, womit sie für manche Epochen zu zeitanzeigenden „Leitfossilien" geworden sind. Die Datierung eines Fundplatzes kann selbstredend nicht allein der Keramik überlassen bleiben, sie muß stets durch andere Kriterien und auch durch naturwissenschaftliche Methoden überprüft werden. Für die archäologische Datierung sind solche Keramiktypen besonders wertvoll, die nur eine kurze Verwendungsdauer besaßen, also rasch aufkamen und schon bald von anderen, meist besseren Sorten wieder verdrängt wurden. Vom Erscheinen einer solchen Spezies soll hier kurz berichtet werden. Auf dem Geestrand nordöstlich der Stadt Esens, Ldkr. Wittmund, kamen 1997 bei der Erschließung eines Wohnbaugebietes umfängliche Siedlungsreste zutage, die von der Archäologischen Forschungsstelle der Ostfriesischen Landschaft dokumentiert wurden. Später konnte mit Unterstützung der Stadt eine 6400 qm große Fläche abgeschoben werden. Bis zur Abfassung dieses Berichtes waren über 900 Befunde erfaßt, die mehreren bäuerlichen Gehöften zuzurechnen sein werden. Schmale Wandgräbchen und Pfostengruben zeigen die Standorte von Gebäuden an, bei einem guten halben Dutzend größerer Verfärbungen wird es sich um Brunnen und Wasserentnahmestellen handeln. Bemerkenswert ist eine Vielzahl von breiteren, weitläufigen Gräbchen, von denen noch zu klären ist, ob sie einzelne Hofplätze umgaben oder ob sie als Viehpferche fungierten. Im weiteren sind einige Siedlungs- und Werkgruben zu nennen, in einer davon fanden sich größere Brocken von Ton, eine verziegelte Lehmschicht sowie stark überhitzte Keramikscherben, weshalb hier vielleicht ein Töpferofen angenommen werden darf.

 

Anhand der mannigfachen Keramikfunde stellte sich schnell heraus, daß sich auf diesem Areal zwei Siedlungshorizonte überlagert haben. Der ältere datiert in die Jahrzehnte vor und nach der Zeitenwende. Es handelt sich also um Überreste einer älterkaiserzeitlichen Geestrandsiedlung, die an diesem Standort wohl nur wenige Generationen überdauerte. Die überwiegende Zahl der Befunde wird allerdings in das frühe Mittelalter gehören, wofür die wiederholte Auffindung sog. Eitöpfe spricht (Abb. 1). Den Namen verdankt diese Keramik ihrer etwas plumpen, leicht bauchigen, insgesamt wenig gleichmäßigen Form. Auch die Ränder sind wenig präzise hergerichtet, die Böden sind sog. Wackelböden, die nicht wirklich gerade, aber auch noch nicht rund wie die der späteren Kugeltöpfe sind. Der Ton für die Eitöpfe wurde mit grobem Gesteinsgrus gemagert, sie sind dickwandig und nur unregelmäßig unter wenig hohen Temperaturen gebrannt. Die Farben der Gefäße variieren zwischen braunen, grauen und schwärzlichen Tönen; vereinzelt zu beobachtende Rußspuren zeigen an, daß sie auch als Kochtöpfe gebraucht wurden.

 

 

 

 

 

Eitöpfe aus der frühmittelalterlichen Siedlung

bei Esens, Ldkr. Wittmund. Die Höhe des größten Gefäßes beträgt 0, 40 m.

 

Durch die urtümlichen Formen und die minderen Herstellungsmerkmale haben die Eitöpfe die Forschung schon früh beschäftigt, zumal bekannt war, daß noch während der vorhergegangenen Völkerwanderungszeit die äußerst qualitätvolle und meist reich ornamentierte sächsische Keramik im Nordseeküstenraum bis hin zu den Britischen Inseln Verwendung gefunden hatte. Wie weit aber auch die Eitöpfe verbreitet waren, hat zuerst Karl Waller herausgestellt, indem er verschiedene Fundplätze in der Marsch West- und Ostfrieslands sowie an der Spitze des Elbe-Weser-Dreiecks kartierte. Er sprach ihnen deshalb eine friesische Herkunft zu und brachte ihre Ausbreitung in Verbindung mit der friesischen Landnahme ab dem 7. Jahrhundert. Von eiförmigen Gefäßen hat dann wohl erstmals Peter La Baume im Zuge seiner Aufarbeitung nordfriesischen Funde gesprochen und die Verbreitung dieser Gefäße von der Zuidersee im Westen bis hinauf in das südliche Dänemark nachgewiesen.

Diese frühmittelalterliche Keramik wurde von der Forschung auch als anglofriesische Ware bezeichnet, die mit lokalen Varianten im gesamten Verkehrsraum der Nordsee bis hin zum östlichen England verbreitet gewesen ist. Sie steht auf jeden Fall im Zusammenhang mit den Fragen zur Wiederbesiedlung der Küstenregion nach der Völkerwanderungszeit. Dem Institut für historische Küstenforschung m Wilhelmshaven ist es diesbezüglich gelungen, anhand der Grabungen in der Wurt Oldorf im Wangerland naturwissenschaftliche Datierungen für eine Marschensiedlung dieser Zeit zu erhalten. Die dendrochronologischen Untersuchungen konnten auch die Eitöpfe zeitlich genauer eingrenzen, sie erschienen dort mit dem Siedlungsbeginn etwa in der Mitte des 7. Jahrhunderts, nach 700 wurden die Gefäßränder allmählich anders gestaltet und mehr vom Gefäßkörper abgesetzt. Im letzten Drittel des 8. Jahrhunderts ist diese Keramik dann von der sog. Muschelgrusware verdrängt worden, so daß ab 800, wie auch sonst im ostfriesischen Raum, fast ausschließlich die mit gestampften Muschelschalen gemagerten Töpfe, die nun allesamt mit Kugelböden ausgestattet waren, vorherrschten.

 

Durch die Grabungen in Esens liegen jetzt erstmalig umfängliche Siedlungsbefunde dieses Zeitraumes vom Geestrand vor, wobei durch das bisherige Ausbleiben von muschelgrusgemagerter Ware für diesen Platz vorerst nur eine kurze Nutzungsdauer von vielleicht gut 100 Jahren angegeben werden kann. Es gilt nun, Genaueres über die Struktur der Ansiedlung und über die Größe der Gehöfte und Häuser zu erfahren. Außerdem steht zu hoffen, daß die Ausgrabung der Brunnen datierbare Hölzer liefert, denn dadurch könnte der Zeitansatz präziser erfolgen. Was die Entstehung der Eitöpfe allgemein angeht, herrscht aber auch dann noch Unklarheit. Waren sie die legitimen Nachfahren der kunstvollen sächsischen Keramik, die nach teilweiser Siedlungsleere in der Völkerwanderungszeit doch die Kontinuität einzelner Bevölkerungsgruppen im Nordseeküstenraum belegen? Oder markiert ihr Erscheinen einen völligen Neubeginn nach dem Abbruch aller Traditionen? Die Forschung in den Niederlanden neigt auf der Basis zahlreicher Daten neuerdings zu der ersten Möglichkeit. In niedersächsischen Küstengebiet sind einschlägige Untersuchungen noch zu selten. Das Problem der völkerwanderungszeitlichen Siedlungskontinuität ist hier noch weit von einer Lösung entfernt.

 

 Literatur:

baume, P. la: Die Wikingerzeit auf den Nordfriesischen Inseln. Jahrbuch des Nordfriesischen Vereins für Heimatkunde und Heimatliebe 29, 1952/53, 5-185.

knol, E.: De noordnederlandse kustlanden in de vroege middeleeuwen. Groningen 1993.

schmid, P.: Die Keramik aus dem frühmittelalterlichen Gräberfeld von Dunum, Kr. Wittmund. Probleme der Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet 9, 1970, 59-76.

stilke, h.: Die frühmittelalterliche Keramik von Oldorf, Gde. Wangerland, Ldkr.  Friesland. Nachrichten aus Nieder­sachsens Urgeschichte 62, 1993, 135-168.

waller, K.: Friesische Grabfelder an der Nordseeküste. Praehistorische Zeitschrift 27, 1933, 227-251.

 

Die vollständigen Grabungsergebnisse sind jetzt erscheinen:

R. Bärenfänger, Befunde einer frühmittelalterlichen Siedlung bei Esens, Ldkr. Wittmund (Ostfriesland). Probleme der Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet 27, 2001 (2002), 249-300.

Enthalten ist darin auch eine umfängliche Betrachtung zu den archäologischen Quellen über die frühen "Friesen".